Lässt sich der neue Roche-Chef zu einer Verzweiflungstat hinreissen?
Der Druck auf Thomas Schinecker nimmt zu, noch bevor dieser bei Roche überhaupt den Chefsessel übernommen hat. Eine Pharmaanalystin äussert gewisse Bedenken.
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Wie ich am vergangenen Freitag schrieb, befindet sich das SMI-Schwergewicht Roche in einem Stimmungstief. Die Genussscheine des Pharma- und Diagnostikgiganten aus Basel sind noch immer für weniger als 300 Franken das Stück zu haben. Nur im Februar letzten Jahres kosteten sie sogar noch etwas weniger – wenn auch nur während einigen Minuten.
Wenn Thomas Schinecker im kommenden März den Sessel des langjährigen Firmenchefs Severin Schwan übernimmt, dürfte auch ihm klar sein, dass er kein einfaches Erbe antritt. Denn schliesslich wies das lukrative Pharmageschäft in den ersten neun Monaten dieses Jahres ein Nullwachstum auf. Ob sich wenigstens im Schlussquartal eine Belebung eingestellt hat, werden wir erst in den ersten Februar-Tagen wissen, wenn Schwan anlässlich der Jahresergebnisveröffentlichung ein letztes Mal in seiner jetzigen Funktion vor die Weltöffentlichkeit tritt.
Fast noch wichtiger als der Blick in den Rückspiegel werden dann die zukunftsgerichteten Aussagen sein. Die produktseitigen Rückschläge der vergangenen Monate – diese gipfelten erst kürzlich im "Aus" für das Alzheimermedikament Gantenerumab – dämpfen die Wachstumsaussichten jedenfalls empfindlich. Das spiegelt sich auch in der Kursentwicklung der Genussscheine wider.
Ich relativierte die Kursentwicklung am Freitag jedoch und schrieb:
Mit Blick auf den Kursrückgang von mehr als 20 Prozent seit Jahresbeginn und das deutlich schlechtere Abschneiden als die Aktien von Platzrivale Novartis sollte nicht vergessen gehen, dass die Genussscheine von Roche zuvor um fast 23 Prozent höher aus dem Börsenjahr 2021 hervorgegangen waren. Die Valoren von Novartis hatten damals einen Kursrückgang von 4 Prozent zu beklagen.
Interessantes weiss die für Barclays tätige Pharmaanalystin Emily Field nach einer zweiwöchigen Rundreise durch Nordamerika zu berichten. Ihres Erachtens gilt das Interesse grosser Investoren nun den detaillierten Studienergebnissen zum Lungenkrebsmittel Tiragolumab. Sollten auch diese Studienergebnisse enttäuschen, könnte der Druck auf den künftigen Firmenchef ins Unerträgliche steigen. Schon jetzt werde lauthals eine Grossübernahme im Pharmageschäft gefordert, wie die Analystin weiss. Dennoch preist sie die Genussscheine wie bis anhin mit "Overweight" und einem Kursziel von 400 Franken zum Kauf an.
Keine Frage: Zwar liesse die Bilanz selbst nach dem milliardenschweren Kauf des Inhaberaktien-Pakets von Novartis eine Grossübernahme zu. Allerdings reicht die letzte solche ins Jahr 2009 zurück, als Roche sich für knapp 47 Milliarden Dollar die restlichen 44 Prozent an Genentech sicherte. Seither tätigten die Basler im Pharmageschäft ausschliesslich kleinere und dadurch leichtverdauliche Firmenkäufe.
Bleibt mir nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sich der künftige Roche-Chef Thomas Schinecker nicht zu einer Verzweiflungstat hinreissen lässt, indem er vom Erfolgsrezept der letzten Jahre abkehrt...
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Quelle: cash.ch