Teil 2, welche Lehren daraus gezogen werden sollten
Erkenntnisse und Lehren aus der Krise
Die Bekämpfung der akuten Liquiditätsengpässe hat gewiss Priorität. Gleichzeitig ist es vor dem Hintergrund der anhaltenden Nervosität und Unsicherheit aber auch erforderlich, besonnen die Lehren aus der Subprime-Krise zu ziehen. Diese sollten, wo nötig, zwar zügig, aber nur nach sorgsamer Prüfung ihrer potenziellen Wirkung gezogen werden. Nichts wäre schädlicher, als durch verfehlte Massnahmen den Samen der nächsten Probleme auszustreuen. Deshalb ist es besonders ermutigend, dass aufseiten der Regierungen, Aufsichtsbehörden und Zentralbanken grosser Wert auf eine internationale Koordination ihres Vorgehens gelegt wird; die Abstimmung im Rahmen des Financial Stability Forum (FSF) ist ein gutes Zeichen. Ebenso erfreulich ist, dass Aufsicht und Regierungen den engen Dialog mit der Finanzbranche pflegen und diese bei der Suche nach Lösungen einbeziehen. Dies fügt sich gut mit entsprechenden Aktivitäten aufseiten der Finanzbranche selbst, die sich insbesondere im Rahmen des Institute of International Finance (IIF) kollektiv um Antworten bemüht. Die entsprechenden Arbeiten bei IIF und FSF sollen im Frühjahr 2008 in ersten Empfehlungen ihren Niederschlag finden. Parallel dazu müssen die Banken natürlich jeweils individuell die Massnahmen ergreifen, die in ihren eigenen Verantwortungsbereich fallen.
- Transparenz und Risikoverteilung: Jedes einzelne
Haus muss Klarheit über seine Engagements in
den von den Turbulenzen betroffenen Markt
segmenten schaffen. Darüber hinaus braucht es
Klarheit über seine Eventualverbindlichkeiten.
Diese Transparenz ist die Voraussetzung dafür,
dass das Vertrauen an den Interbankenmärkten
zurückkehrt. Dass sich viele Banken mittlerweile
entschlossen haben, ausserbilanzielle Vehikel
wieder auf ihre Bilanz zu nehmen, ist in diesem
Sinne ein guter Schritt.
Über die gegenwärtige Marktsituation hinaus
wird es künftig generell eine Kernaufgabe des
Bankmanagements sein, für Transparenz zu sor
gen. Nach den Erfahrungen der letzten Monate
werden Investoren, Gläubiger und Rating-Agen
turen mehr Offenheit einfordern. Und Banken
werden diese Erwartung - mit Blick auf einzelne
Produkte und Transaktionen ebenso wie in Be
zug auf das Geschäft insgesamt - erfüllen müssen,
wenn sie nicht den Preis höherer Finanzierungs
kosten zahlen wollen. Positiv dürfte sich auswir
ken, dass der neue internationale Eigenkapital
standard («Basel II») in der sogenannten «Säule
3» bereits ein Mehr an Transparenz verlangt.
Während Banken diese Formen der Transparenz
weitgehend eigenständig verbessern können, be
darf es kollektiven Handelns, um mehr Transpa
renz über die Risikoverteilung im Finanzsystem
insgesamt zu schaffen. Dies ist kein neues Thema;
seine Relevanz ist durch die rasche grenzüber
schreitende Ausbreitung der Marktturbulenzen
aber besonders deutlich geworden. Umso wichtiger
ist es, dass Banken und Aufsichtsbehörden noch
intensiver daran arbeiten, gemeinsam mehr Klar
heit über die Verteilung der Risiken herzustellen.
- Fragen der Bewertungsmethodik: Mehr Transpa
renz hilft nur dann, wenn die Grundlagen zur Be
wertung der Anlagen nachvollziehbar und aner
kannt sind. Die Subprime-Krise hat jedoch offen
gelegt, dass es zwar allgemeine Grundsätze für
die Bewertung komplexer Produkte gibt, diese
aber einer genaueren und im Markt gleicher
massen angewandten Auslegung bedürfen; a for
tiori gilt dies für die Bewertung von Produkten,
für die es temporär keinen Marktpreis gibt. Klar
heit über die Grundlagen der Bewertung erleich
tert überdies die Preisbildung, was es den Banken
wiederum leichter macht, eigene Risikomodelle
zu entwickeln und die Abhängigkeit von externen
Bewertungen wie Ratings zu reduzieren.
- Konsequenzen für das Risiko- und Liquiditäts
management: Interne Richtlinien über das Ein
gehen und die Bewertung von Risiken müssen
rigoros umgesetzt werden. In diesem Zusammen
hang ist auch sicherzustellen, dass die Zuweisung
von Kapital bei den Banken innerhalb der
Gruppe zu risikogerechten Kosten erfolgt: Wenn
die Eigenhandelsaktivitäten einer Bank vom
positiven Rating der Gesamtbank profitieren,
etwa weil sich die Bank günstig über Einlagen re
finanziert, wird dieser Vorteil Rückwirkungen
auf die Risikoprämien der Anlagen haben, die
der Eigenhandel erwirbt, und somit die Preise
verzerren.
Die Angemessenheit und Leistungsfähigkeit der
verwendeten Risikomodelle muss kontinuierlich
geprüft werden. Dies schliesst besonders auch
eine kritische Überprüfung der Annahmen ein,
die die Modelle über die Liquidität treffen. Dabei
gilt es, die Modelle nicht nur auf ihre methodi
sche Korrektheit hin zu überprüfen, sondern stets
auch eine Analyse der wirtschaftlichen Plausibili
tät vorzunehmen. Risiken, die nicht in einem an
gemessenen Verhältnis zur eigenen Kapitalbasis
und zur eigenen Ertragskraft stehen, dürfen nicht
eingegangen werden. Aktiva, deren Werthaltig
keit man nicht auf der Basis einer eigenständigen
Risikoanalyse zuvor selbst überprüft hat, dürfen
nicht erworben werden. Sich allein auf das Urteil
Dritter, beispielsweise einer Rating-Agentur, zu
verlassen, reicht nicht aus.
Ein besonders wichtiges Aufgabenfeld ist dabei
die Verbesserung des Liquiditätsmanagements.
Dazu zählen ein leistungsfähiges Stress-Testing
und eine strikte interne Preissetzungsdisziplin bei
Eventualverbindlichkeiten. Die Tatsache, dass
«Basel II» für unterjährige Liquiditätslinien
strengere Eigenkapitalanforderungen stellt, als
«Basel I» dies bisher tat, sollte sich positiv aus
wirken. Um die Anreize zu erhöhen, ein besseres
Liquiditätsmanagement zu entwickeln, sollte es
Banken künftig, analog zum Kreditrisiko-Ma
nagement, verstärkt möglich sein, auf eigene
Liquiditätsmodelle zurückzugreifen.
- Anreizstrukturen komplexer Produkte: Richtig ist,
dass der Einsatz komplexer strukturierter Pro
dukte Klarheit und Kenntnis über ihre Wirkungs
mechanismen voraussetzt. Richtig ist auch, dass
die Verbriefung von Krediten die Anreizstruktu
ren für alle beteiligten Parteien verändert. Dies
muss in der Konstruktion der Kontrakte berück
sichtigt werden. Insbesondere muss der Begrün
der («Originator») der Forderung einen Anreiz
haben, das Kreditrisiko sorgsam zu bewerten und
das Verhalten des Kreditnehmers zu beobachten.
Es gibt eine Vielzahl von Mechanismen, um dies
sicherzustellen. Je nach Art der zugrunde liegen
den Forderung gibt es eine grosse Vielfalt an Ver
briefungen und strukturierten Produkten, und
man wäre schlecht beraten, diese alle über einen
Kamm zu scheren. Strukturierte Produkte bieten
massgeschneiderte Lösungen für die Finanzie
rungserfordernisse von Investoren. Verbriefungen
und andere Formen des Kreditrisikotransfers
haben die Widerstandsfähigkeit des Finanzsek
tors erhöht und zu dem spektakulären Wachstum
der vergangenen Jahre beigetragen. Es sollte da
her ein Interesse daran bestehen, diese Instru
mente nicht zu beschädigen.
Isolierte Antworten genügen nicht
Die Subprime-Krise und ihre Auswirkungen stellen Banken, Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und Regierungen gleichermassen vor substanzielle Herausforderungen. Die Turbulenzen haben deutlich gemacht, wie komplex die Wirkungszusammenhänge in einem internationalisierten Finanzsystem sind. Sie haben gezeigt, dass isolierte Antworten keine angemessene Reaktion sind, sondern eine enge Abstimmung zwischen den Staaten sowie zwischen Finanzwelt und staatlichen Stellen nötig ist. Genau in dieser Kooperation entsteht die nötige Dynamik und Kreativität, um den Herausforderungen zu begegnen.
Josef Ackermann, NZZ vom 22.12.2007