Die Top-Steueroase liegt in den USA
Kein Finanzplatz ist verschwiegener als Delaware
Die Schweiz bekommt in der Debatte um Steueroasen Schützenhilfe von ungewohnter Seite: Die Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network wird morgen eine Liste der 60 intransparentesten Finanzplätze der Welt publizieren, welche die «NZZ am Sonntag» hier vorab veröffentlicht. Erwartungsgemäss figuriert die Schweiz im Financial-Secrecy-Index auf einem der vordersten Plätze. Sie ist dabei aber in «guter Gesellschaft» mit zwei ihrer schärfsten Kritiker: Der US-Gliedstaat Delaware führt die Rangliste an, London schafft es auf Platz fünf.
Die USA und Grossbritannien sind bisher nicht offiziell im Zusammenhang mit Steueroasen genannt worden – wohl weil diese Länder in den massgebenden Gremien OECD und G-20 einen grossen Einfluss ausüben. Das politisch unabhängige Tax Justice Network (TJN) dagegen hat für seinen Index, der von nun an alle zwei Jahre aktualisiert werden soll, 60 Finanzplätze anhand von nachvollziehbaren Kriterien unter die Lupe genommen. Die internationale Organisation, zu deren Gründungsmitgliedern Alliance Sud und die Erklärung von Bern gehören, stösst sich daran, dass Grosskonzerne und vermögende Privatunternehmen ihre Steuerpflicht umgehen, indem sie ihre Gelder in Steueroasen verstecken.
Licht auf London und Delaware
«Der Financial-Secrecy-Index unterscheidet sich deutlich von den Steueroasen-Listen der OECD», sagt Andreas Missbach, Finanzexperte der Erklärung von Bern. «Finanzplätze wie Delaware, Nevada und London blieben bisher von den schwarzen und grauen OECD-Listen ausgeschlossen, weil sie keine souveränen Staaten sind und weil machtpolitische Gründe mitspielten.» Die Schweiz solle den Index denn auch als Aufforderung verstehen, aussenpolitisch in die Offensive zu gehen, so Missbach. «Sie muss sich für multilaterale Initiativen einsetzen, die mehr Transparenz in Steuerfragen und im Weltmarkt für Finanzdienste gewähren – und zwar weltweit.» Das sei das beste Mittel, Wettbewerbsnachteile für den eigenen Finanzplatz zu vermeiden.
Der Grad der Geheimhaltung eines Finanzplatzes (Financial-Secrecy- Index) setzt sich aus zwei Faktoren zusammen, deren Werte für das Endergebnis miteinander multipliziert werden. Basis für den ersten Faktor Intransparenz sind zwölf Kriterien (siehe Kasten rechts, der die wichtigsten davon aufführt). Der zweite Faktor erfasst die Bedeutung einer Jurisdiktion im grenzüberschreitenden Geschäft für Finanzdienste. Grundlage hierfür bilden Zahlungsbilanz-Daten des Internationalen Währungsfonds (IMF).
Die Kriterien zur Beurteilung, wie intransparent ein Finanzplatz ist, sind breit gefasst. «Es geht beim Streit um die Steueroasen nicht nur um private Steuerhinterziehung. Wesentliche Einnahmen gehen Industrie- und Entwicklungsländern auch durch die Steuervermeidungspraktiken transnationaler Unternehmen verloren», sagt Mark Herkenrath, Verantwortlicher für Steuerfragen bei Alliance Sud. «Damit Unternehmensgewinne angemessen versteuert werden können, arbeitet das TJN seit längerem darauf hin, dass transnationale Konzerne ihre Bilanzen nach Ländern aufschlüsseln.» So würde es schwieriger, über missbräuchliche interne Verrechnungspreise den Grossteil der Gewinne an Briefkastenfirmen in Steueroasen zu überweisen.
Fragwürdige Kriterien
Die Liste und die Berechnungsmethode dürften kontrovers diskutiert werden. Die Messlatte zur Erfüllung einzelner Kriterien, mit denen der Grad an Intransparenz gemessen wird, ist sehr hoch angesetzt – und ohne Feinabstufungen. Ein Beispiel: Nur ein einziger Finanzplatz, nämlich Monaco, erfüllt das Kriterium Nummer fünf: «Sind Details zu den wirtschaftlich Berechtigten einer Firma öffentlich verfügbar?» Länder wie Luxemburg dürften zudem irritiert sein, dass die Grösse des Finanzplatzes das Schlussresultat so stark beeinflusst: Das Grossherzogtum schneidet bei den Transparenzkriterien wesentlich besser ab als die Schweiz, liegt aber – wohl wegen seines gewichtigen Geschäfts mit Anlagefonds – in der Endabrechnung doch einen Platz vor der Schweiz.
Die Rangliste dürfte aber beachtet werden, weil erstmals versucht wird, eine Vielzahl von Finanzplätzen mit gleicher Elle zu messen. Die Kämpfer wider die Steuerhinterziehung sehen ihre Rangliste als Ergänzung zum vielbeachteten Korruptionsindex von Transparency International. Korruption, Steuerflucht und organisiertes Verbrechen würden zu einer Nachfrage nach «illegitimen» Finanzdiensten führen – und Steueroasen stellten das Angebot dazu bereit. Transparency International begrüsst den Financial-Secrecy-Index, findet aber die von TJN verwendeten Methoden nicht differenziert genug, wie eine Vertreterin erklärt.
Wichtigste Kriterien für Intransparenz-Index:
1. Wird auf ein gesetzlich verankertes Bankgeheimnis verzichtet? 2. Gibt es ein öffentliches Register der Trusts und Stiftungen? 3. Bescheinigt die FATF (Gremium zur Bekämpfung der Geldwäscherei) der Jurisdiktion, ihre Empfehlungen zu mindestens 90% zu erfüllen? 4. Sind die Jahresabschlüsse von Firmen für jedermann einsehbar – für eine Gebühr von weniger als 10 $? 5. Sind Details zu den wirtschaftlich Berechtigten einer Firma öffentlich verfügbar – zu Kosten von unter 10 $? 6. Werden Details zu den wirtschaftlich Berechtigten einer Firma an eine Behörde übermittelt und aktualisiert? 7. Hat der Finanzplatz an der Umfrage des Tax Justice Network teilgenommen? 8. Nimmt er vollständig am automatischen Informationsaustausch teil? 9. Hat der Finanzplatz mindestens 60 bilaterale Abkommen (über Doppelbesteuerung oder Steuerinformation), die einen breiten Informationsaustausch in allen Steuerfragen erlauben? 10. Hat die Behörde Zugang zu Bankdaten für den Informationsaustausch?