«Glarner zerstört unsere Partei» (Kein Mensch ist unnütz)
Offener Streit in der SVP Aargau
«Glarner zerstört unsere Partei»
Andreas Glarner, der sehr polarisierende Präsident der SVP Aargau, sei schuld am jüngsten Wahldebakel der SVP im Aargau. Das sagt Glarners Amtsvorgänger – und gebraucht dafür äusserst scharfe Worte.
Die SVP hat in den Aargauer Gemeindewahlen eine schwere Schlappe erlebt. Zahlreiche SVP-Gemeinderäte wurden am Sonntag abgewählt, und auch in den Parlamenten der Aargauer Kleinstädte hat die Partei flächendeckend Sitze verloren.
Jetzt bricht in der Partei deswegen der offene Streit aus.
Hans-Ulrich Mathys, der ehemalige Präsident der SVP Aargau, macht Andreas Glarner, den heutigen Parteichef, persönlich für das Wahldebakel verantwortlich. «Glarner zerstört unsere Partei», sagt Mathys in einem Interview mit der «Aargauer Zeitung».
Mathys’ Interview ist eine Abrechnung, wie man sie selten gesehen hat. Das Wahlresultat der SVP bezeichnet er als «Desaster», für das vor allem «die Teppichetage» der Partei verantwortlich sei. Die Parteileitung gebärde «sich auf eine Art und Weise, dass sich viele Wähler von uns abwenden».
«Katastrophales Abschneiden»
Damit meint Mathys den polarisierenden Stil von Nationalrat Andreas Glarner, der die Aargauer SVP seit Anfang 2020 präsidiert. Er sei sicher, sagt Mathys, dass sich der Glarner-Kurs langfristig negativ auswirken werde. «Das katastrophale Abschneiden bei den Kommunalwahlen am Sonntag war die erste, deutliche Quittung.»
Glarner ist auch national für radikale bis extreme Aussagen bekannt. Vor wenigen Tagen teilte er etwa auf Facebook ein Video, das die Corona-Impfkampagne mit der Judenverfolgung unter Hitler in Verbindung bringt. Das Video zeigt eine Fotomontage, in der vor einem Schweizer Impfzentrum der Satz «Impfen macht frei» steht – in Anlehnung an den zynischen Spruch «Arbeit macht frei», welcher damals über den Eingangstoren des Konzentrationslagers Auschwitz stand. Glarner teilte das Video mit dem Kommentar: «Echt sehenswert».
Im Aargau verschont Glarner auch seine Parteikollegen nicht. In der Corona-Krise bezeichnete er die Kantonsregierung öffentlich als «Höseler» – und attackierte damit primär seinen Parteikollegen Jean-Pierre Gallati, der als Gesundheitsdirektor verantwortlich für das Pandemiemanagement ist.
Seinen eigenen Ortsparteien warf Glarner über die Medien vor, vielerorts einen «Weichspülerkurs» zu fahren – als Beispiel dafür nannte er etwa fehlenden Widerstand gegen Tempo-30-Zonen.
Quote«Die Aufrechten müssen aufstehen und eine Kurskorrektur verlangen.»
Alt-SVP-Nationalrat Hans-Ulrich Mathys
Dieser Sichtweise tritt Mathys nun dezidiert entgegen. Der heute 75-jährige war in den 1990er- und 2000er-Jahren hintereinander Parteisekretär und Präsident der SVP Aargau – in jenen Jahren, als die SVP ihren kometenhaften Aufstieg erlebte. Acht Jahre lang gehörte Mathys auch dem Nationalrat an.
Glarner könne bisher wohl auf eine Mehrheit am Parteitag zählen, sagt Mathys. In den Ortsparteien sei die Partei aber am «Zerbröseln», so Mathys. «Die Partei leistet keine Basisarbeit mehr. Stattdessen wird über Facebook medienwirksam gepoltert.» Nun müssten «die Aufrechten aufstehen und eine Kurskorrektur verlangen».
Flächendeckende Verluste
Gewählt haben die meisten Aargauer Gemeinden am Sonntag ihre Gemeindebehörden. Eine konsolidierte Übersicht über alle Sitzverschiebungen gibt es bis jetzt nicht. Aber klar ist, dass sich die Erfolgswelle von Grünen und Grünliberalen fortgesetzt hat. Die SP blieb einigermassen stabil, alle bürgerlichen Parteien mussten Federn lassen, am meisten aber die SVP.
In Lenzburg und Buchs verlor sie die letzten Sitze, die sie in den Exekutiven der grösseren Aargauer Gemeinden überhaupt noch hielt. Im Kantonshauptort Aarau scheiterte ihr Versuch, in die Stadtregierung zurückzukehren, kläglich. Und in praktisch allen Einwohnerräten von Zofingen über Buchs und Obersiggenthal bis nach Baden und Wettingen verlor die Volkspartei flächendeckend Sitze.
Fast noch bemerkenswerter sind die Sitzverluste, die die Partei auch in mittleren und kleineren Gemeinden auf dem Land erlitt. Zum Beispiel in Laufenburg, Freienwil, Möhlin, Gipf-Oberfrick: Quer durch den Kanton verlor die SVP Sitze in Gemeinderäten, in Unterentfelden oder Gebenstorf sogar zwei auf einen Schlag.
Die Verluste kamen zum Teil zustande, weil die SVP schlicht keine Kandidaten mehr gefunden hatte. Vielerorts wurden aber gestandene Amtsinhaber – zum Teil sogar Gemeindeammänner und Vizeammänner – abgewählt.
Parteichef Andreas Glarner sagte am Dienstagmorgen, er äussere sich nicht zu Mathys’ Interview. Solche Dinge würden parteiintern geklärt. Am Montag hatte er aber im «Regionaljournal» von Radio SRF und in der NZZ zu der Wahlniederlage Stellung genommen. Die Verluste in den Städten erklärte Glarner damit, dass dort viele Einwohnerinnen und Einwohner wie die «Made im Speck» auf Staatskosten leben würden – solche Leute wählten halt links.
Glarner nimmt damit die Anti-Städte-Kampagne auf, die auch die SVP Schweiz seit einigen Wochen führt. Zudem, so Glarner, seien einzelne SVP-Kandidaten unfähig gewesen, einen Wahlkampf zu führen. Andernorts habe die Partei einfach Pech gehabt.
Glarner: Jetzt erst recht
Dass die Niederlage auch mit seiner Person zu tun haben könnte, will Glarner nicht gelten lassen. Dafür stehe er zu wenig lange an der Spitze der Kantonalpartei. «Jetzt beginnt der Wahlkampf für 2025, und den werde ich prägen.»
Auf die Frage von Radio SRF, ob er zurücktreten werde, sagte Glarner: «Den Gefallen werde ich euch nicht tun.» Er habe noch viel Arbeit vor sich.