Hysterische Szenen beim Besuch von Kim an der Grenze
Nordkoreas Machthaber droht mit einem «umfassendem Krieg»: Kim Jong-un hat sich an der Grenze zu Südkorea von seinen Anhängern feiern lassen. Die Szenen sind grotesk.
Nun reisst sogar China der Geduldsfaden.
Das nordkoreanische Staatsfernsehen hat Bilder eines Besuchs von Machthaber Kim Jong-un an der Grenze zu Südkorea ausgestrahlt. Sein Land sei bereit für einen «umfassenden Krieg», sagte Kim laut Berichten der Staatsmedien. Die Bilder stammten von einem Besuch Kims von zwei Inseln nahe der umstrittenen Seegrenze. An die versammelten Soldaten einer dort stationierten Einheit gerichtet sagte Kim, als Reaktion auf die geringste Provokation werde er einen «grossangelegten Vormarsch» an der gesamten Grenze zum Süden anordnen.
Per Fernglas blickte Kim auf die Insel Yeonpyeong hinüber und diskutierte mit Offizieren offenbar die Auswahl möglicher Ziele. Yeonpyeong war im November 2010 von Nordkorea beschossen worden, damals wurden vier Südkoreaner getötet, darunter zwei Zivilisten. Der Besuch Kims an der Grenze wurde von beinahe hysterischen Szenen begleitet. Soldaten und deren Familien jubelten dem Machthaber zu, schrien vor Freude und reckten die Arme in die Höhe, wie im Staatsfernsehen zu sehen war. Einige hielten die Hände vor das Gesicht, um ihre Tränen zu verbergen.
Die Szenen wiederholten sich, als Kim die Insel Mu per Boot wieder verliess. Dutzende Menschen rannten ins eiskalte Wasser, um den Machthaber zu verabschieden. Die Lage auf der koreanischen Halbinsel hatte sich zuletzt wieder angespannt, nachdem Pyongyang als Reaktion auf die Verschärfung von UNO-Sanktionen den Nichtangriffspakt mit dem Süden aufkündigte. Zuvor hatte Nordkorea bereits den USA mit einem atomaren Erstschlag gedroht.
Südkorea reagierte mit der Ankündigung, auf jegliche Provokation des Nordens zu reagieren. Die chinesische Regierung als Verbündete Nordkoreas rief zur Besonnenheit auf.
China frustriert über Nordkorea
Selbst Chinas Geduld findet langsam ein Ende. Einen völligen Bruch mit Nordkorea erwartet zwar niemand, aber auch Peking verschärft jetzt den Druck auf den störrischen Nachbarn. Pekings Zustimmung zu den Sanktionen des UNO-Sicherheitsrates gegen Pyongyang ist ein klares Zeichen der Verärgerung über den jungen Machthaber Kim Jong Un, der Chinas Geduld überstrapaziert hat.
Chinas Führer hätten mit einer Neubewertung ihrer Nordkorea-Politik begonnen, wissen chinesische Experten zu berichten. Bislang hat Peking meist vermittelnd eingegriffen und seinen traditionellen Freund noch in Schutz genommen, aber der Ruf nach Strafmassnahmen wird auch in China selbst lauter.
Alles hängt vom nächsten Schritt des Regimes in Pyongyang ab. «Die Leute blicken jetzt nach Nordkorea», sagt Cheng Xiaohe von der Schule für internationale Studien an der Volksuniversität in Peking. «Wenn Nordkorea die Atomtests und Satellitenstarts fortsetzt, ist der Sicherheitsrat gezwungen, einen weiteren Schritt zu tun. Es ist ein Teufelskreis.»
Beklagt wird Undankbarkeit der nordkoreanischen Seite angesichts der Vermittlungsbemühungen Chinas. Als Gastgeber organisierte Peking mehrere Runden der Sechs-Parteien-Gespräche mit Nordkorea, den USA, Südkorea, Japan und Russland.
Für ein Ende des Atomwaffenprogramms winkten diplomatische Eingeständnisse und Wirtschaftshilfen für das hungernde Land. Doch Nordkoreas Regime schlug das Angebot aus, liess die Verhandlungen 2009 platzen und setzt allein auf Konfrontation.
Wirtschaftlich wollte China den Nachbarn von einem Reformkurs nach chinesischem Vorbild überzeugen. Der Handel stieg 2011 um 62 Prozent auf 5,64 Milliarden Dollar. China ist der grösste Handelspartner.
Unklar ist, wie viel Nahrungsmittel- oder Energiehilfen über die Grenze gehen, ohne in den Statistiken aufzutauchen. China bemüht sich ausserdem, Nordkorea bei der Entwicklung von Freihandelshäfen zu unterstützen, auch um dessen Kooperation mit dem Ausland zu fördern.
Hinter Chinas Nordkorea-Politik steckt vor allem die Angst vor einem Krieg oder einem Zusammenbruch des 23 Millionen Einwohner zählenden Landes mit grossen Flüchtlingsströmen.
Westliche Experten sprechen auch von chinesischer Furcht, dass Südkorea den Norden mit Hilfe der USA schlucken könnte und US-Truppen eines Tages direkt an der nordostchinesischen Grenze stehen könnten. So steckt Peking in einem Dilemma, denn ein atomar bewaffnetes Nordkorea mit Langstreckenraketen will es eigentlich auch nicht sehen.
Unsicher und schwach
Experte Cheng Xiaohe erklärt sich die Aggressivität Nordkoreas mit dessen wachsenden Gefühl der Unsicherheit. Der neue Führer Kim Jong Un sei jung und unerfahren. Auch sei Nordkorea im Machtgefüge auf der koreanischen Halbinsel den USA und Südkorea unterlegen. «Südkorea wird seit den 90er Jahren immer stärker, aber Nordkorea immer schwächer.»
Die völlige Isolation verstärke die Unsicherheit. So glaube Nordkorea, Atomwaffen entwickeln zu müssen, «damit sich niemand mit ihm anlegt», sagt Cheng Xiaohe.
Zweifel an Kims Führungsqualitäten
Die Experten in China sind sich wie westliche Beobachter auch nicht sicher, ob Kim Jong Un nur eine Puppe ist und in Wirklichkeit vor allem sein Onkel Jang Song Thaek oder die Generäle die Fäden ziehen.
Der junge Mann sei nicht sonderlich gebildet, besitze wenig Führungsqualitäten und zeige nur eine einstudierte dramatische «Herrschaftsgestik», berichtete ein westlicher Experte, der ihn in Pyongyang persönlich erlebt hat. «Er ist nicht beeindruckend, sondern eher unsicher.»
Der engste Führungszirkel um den Spross der Kim-Dynastie gilt als enges Netzwerk von Vertrauten, die völlig entrückt vom Rest der Welt leben und nach Angaben des Experten ein «dekadentes und neureiches Verhalten» an den Tag legen.
Es wunderte daher wenig, dass die neuen Sanktionen auch auf Mitglieder der Führung und die Lieferung von Luxusgütern zielen. China kommt als Handelspartner bei der Durchsetzung eine Schlüsselrolle zu.