Interessanter Beitrag aus der heutigen SonntagsZeitung
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http://www.sonntagszeitung.ch/…etailseite/?newsid=183530QuoteKapitalismuskritik: Bitte konkreter, richtiger und wirksamerDisplay More
Die Ökonomen Reiner Eichenberger und David Stadelmann antworten auf das Manifest des Rats für Wirtschafts- und Sozialpolitik, «Kontrapunkt», das die SonntagsZeitung letzte Woche veröffentlicht hat
Die Kapitalismuskritik von Gret Haller, Philippe Mastronardi, Peter Ulrich und Daniel Wiener zielt auf drei Probleme: die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung, das Umweltproblem und die Wirtschaftskrise. Sie schlagen vor, das persönliche «Eigentum» - private Vermögen bis 2 Millionen Franken - in der Verfassung besser zu schützen und das «Kapital» - Vermögen von Individuen und Unternehmungen über 2 Millionen - massiv stärker zu regulieren.
Der Ansatz ist aus fünf Gründen untauglich:
1. Naive Staatsgläubigkeit.
Die heutige Realität und damit unsere Probleme sind nicht durch den freien Markt, sondern durch das enge Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft geprägt. Der Staatsanteil am Bruttoinlandprodukt beträgt in der Schweiz rund 40 Prozent, und auch auf den Rest hat der Staat grossen Einfluss. Wer da, so wie es die vier «Kontrapunkt»-Autoren tun, den Markt und das Kapital für alle Probleme verantwortlich macht und mehr Regulierungen fordert, ohne das heutige Staatsversagen zu thematisieren, liegt grundsätzlich falsch.
2. Abstrakt, unklar und gefährlich.
Die Autoren wollen den Schutz des Eigentums in der Verfassung verankern. Es bleibt aber unklar, was ihr Schutz konkret mehr bietet als der heutige Schutz. Zur Regulierung des Kapitals fordern sie neue Gesetze auf Basis ihres Verfassungstextvorschlags. Sie wollen ganz explizit Kapital nur schützen, soweit alle an der Kapitalbildung Beteiligten auch angemessen daran teilhaben, es auf sozial- und umweltgerechte Weise genutzt und nicht zu politischen Zwecken eingesetzt wird. Das klingt abstrakt, und Gret Haller und ihre Kollegen machen auch kaum konkrete Gesetzesvorschläge. Ihr Verfassungsvorschlag bedeutet aber im Klartext: Der Staat hat alle Macht, Kapital voll durchzuregulieren und praktisch zu enteignen, weil fast immer eine Verletzung einer der drei obigen Bedingungen behauptet werden kann. Zwar fordern sie, Enteignungen seien voll zu entschädigen. Das bringt aber nichts. Entschädigungszahlungen fliessen ja ins Kapital der Entschädigten ein und unterliegen damit ebenfalls der enteignenden Regulierung. Insgesamt bleibt unklar, ob die Autoren wirklich eine Stärkung des Eigentums oder nicht vielmehr eine Unterdrückung des Kapitals wollen.
3. Verdrehte Einkommensdiskussion.
Die Verfasser des Manifests motivieren ihren Vorschlag hauptsächlich mit der sich öffnenden Einkommens- und Vermögensschere. Dabei ist ihre Perspektive viel zu eng. Erstens vernachlässigen sie die stark wachsenden Vermögen der zweiten Säule. Die relativ Armen haben einen weit grösseren und zunehmenden Anteil ihres Vermögens in der zweiten Säule angelegt als die relativ Reichen. Ohne Berücksichtigung dieser Vermögen muss die gemessene Vermögensungleichheit zunehmen. Zweitens hat die Einkommensungleichheit in der Schweiz längerfristig kaum zugenommen. Die Zunahme beschränkt sich stark auf die Jahre von etwa 1995 bis 2004. Sie ist keine grundsätzliche Folge unserer heutigen Wirtschaftsordnung. Drittens ist die Veränderung der Einkommensverteilung stark von Einwanderung am unteren und oberen Ende der Einkommensskala getrieben. Unter den bisherigen Einwohnern hat die Ungleichheit, wenn überhaupt, viel schwächer zugenommen. Viertens haben die absoluten Einkommen aller Gruppen zugenommen. Wenn das verfügbare Einkommen der Ärmeren temporär gefallen ist, liegt das zumeist an der Zunahme von staatlich verordneten Gebühren und Abgaben, nicht am «freien Markt». Fünftens sind die «Kontrapunkt»-Autoren aufs Monetäre fixiert: Sie zielen ausschliesslich auf Geld- und Sachvermögen. Sie vernachlässigen aber das wichtigste Kapital, das Humankapital, das heisst die Fähigkeiten und Ausbildung der Menschen. Entscheidend für die längerfristige Einkommensentwicklung ist vor allem das Humankapital. Über Verteilungsfragen zu reden, ohne aufs Humankapital und die individuellen Anreize zu Ausbildungsinvestitionen einzugehen, ist bestenfalls komisch.
4. Giesskannenprinzip und mehr Subventionen statt weniger Fehlanreize.
Haller und ihre Kollegen schreiben: «Damit Unternehmertum für alle möglich ist, wird der Zugang zu günstigen Investitionskrediten für jedermann ermöglicht.» Wie bitte soll das gehen? Wenn der Staat alle Kredite fördert, werden bekanntlich auch viele schlechte Investitionen subventioniert. Entweder muss also der Staat die Kreditwürdigkeit jedes Projekts kontrollieren, was er nicht kann, oder die Subventionen und Kreditverluste und ihre gesellschaftlichen Kosten steigen schnell und müssen vom Steuerzahler getragen werden. Wenn aber Durchschnittsbürger über Steuern andere Durchschnittsbürger subventionieren, ist das ein sehr teurer Leerlauf.
Haller & Co. ignorieren auch die wahren Gründe der beklagten Probleme. So fällt es Jungunternehmern unter anderem auch deshalb schwer, Eigen- und Fremdkapital zu erhalten, weil heute der Staat den Kapitaltransfer von alten zu neuen, rentableren Unternehmen massiv behindert, indem er die Gewinnausschüttung doppelt besteuert. Genau so ist die Einkommensentwicklung der weniger Qualifizierten unter anderem deshalb nicht befriedigend, weil die Sozialhilfe und viele staatliche Unterstützungsmassnahmen in arbeits- und ausbildungsanreiztötender Weise stattfinden.
5. Inhaltliche Vorschläge mangelhaft.
Die Autoren wollen das heutige Aktienrecht mit einem «pluralistischen System» ersetzen, «das alle Anspruchsgruppen in fairer Weise (. . .) mitwirken lässt und an der gemeinsam erarbeiteten Wertschöpfung angemessen beteiligt». Das klingt lieb und gut. Aber leider sagen sie mit keinem Wort, wer die Gruppen sind, wie sie mitwirken und entschädigt werden sollen. Der Erfolg der Mitbeteiligung von Anspruchsgruppen hängt aber sehr stark von der konkreten Ausgestaltung der Mitbestimmungs-Institutionen ab.
Die «Kontrapunkt»-Autoren fordern auch eine Erbschaftssteuer für hohe Vermögen. Erbschaftssteuern bringen aber niemals die immer wieder versprochenen hohen Erträge, weil die wirklich Reichen der Erbschaftssteuer leicht ausweichen können, indem sie ihr Vermögen in Stiftungen einbringen oder es in Unternehmungen und Immobilien anlegen, die immer wesentlich tiefer als Finanzvermögen besteuert werden. Zudem werden Erbschaftssteuern schon heute weltweit von den Erblassern und nicht den Erben erhoben, weil Letztere der Besteuerung leicht durch Umzug ausweichen können. In Zukunft werden aber auch die Erblasser durch Wohnsitzverlagerung ins Ausland auf das Lebensende der Erbschaftssteuer leichter ausweichen können. Eine Erbschaftssteuer bringt deshalb nur wenig und belastet am Ende vor allem die mittleren Vermögen, für die sich die «Optimierung» weniger lohnt.
Bessere Alternativen. Kritik an Haller und ihren Kollegen fällt also leicht. Was aber bringt etwas zur Lösung der drei Grundprobleme Einkommensungleichheit, Umweltproblem und Wirtschaftskrisen? Es gilt, endlich das Verursacherprinzip durchzusetzen. Hinsichtlich des Umweltproblems sind die Argumente wohlbekannt: So schädigen der private wie der öffentliche Verkehr genauso wie die traditionellen und alternativen Energieträger die Umwelt und werden hoch subventioniert. Das muss aufhören. Jeder Verkehrs- und Energienutzer soll seine Kosten selbst bezahlen. Zum Ausgleich müssen und können die anderen Steuern, insbesondere die Mehrwertsteuer und die Einkommenssteuern, massiv gesenkt werden. Das Verursacherprinzip gilt auch für die Einkommensungleichheit: So können exzessive Managerlöhne am besten verhindert werden, indem diejenigen über die Löhne entscheiden, die sie wirklich bezahlen: die Aktionäre. Dazu müssen die Aktionäre über verschiedene alternative Vergütungspakete abstimmen können. Genauso soll ein Staat, der höhere Löhne für schlecht qualifizierte Arbeitnehmer will, diese nicht durch Markteingriffe und Vorschriften erzwingen und die Kosten den Arbeitgebern aufhalsen. Vielmehr soll er selbst für die Kosten aufkommen, indem er schlecht verdienenden Arbeitenden eine Lohnzulage zahlt. Schliesslich hilft das Verursacherprinzip auch gegen Wirtschaftskrisen: Selbstverständlich sollen für die Überschuldung Griechenlands nicht die europäischen Steuerzahler aufkommen, sondern die Verursacher der Krise: die Kreditnehmer und Kreditgeber, also die Griechen und die Investoren, Banken und ihre Aktionäre. Wenn wir so die Verantwortung wieder klarer ordnen und nicht mehr so viele so leicht auf Kosten anderer leben können, würde das Verhalten in allen Bereichen vernünftiger, sozialer, umweltverträglicher und weniger krisenanfällig.