SMI im Februar 2011
Die beiden Pharmakonzerne Roche und Novartis gehören zu den Aktien, die sich in fast jedem konservativen Schweizer Portfolio befinden. Und warum auch nicht: Die Konzerne werden schliesslich von einigen Analysten mit scheinbar unverbrüchlicher Treue seit Jahren zum Kauf empfohlen – egal, ob die Aussichten gut oder eher bescheiden sind.
Derzeit listet der Finanzdienstleister Bloomberg 44 Analystenteams auf, die Novartis bewerten, und 42, die Roche beurteilen. Novartis wird von der grossen Mehrheit (33 Analysten) mit einer Kaufempfehlung versehen. Weniger eindeutig ist derzeit die Lage bei Roche: 23 sagen noch «kaufen», 19 «halten». Zu einem Verkauf rät kein einziges Analystenteam.
Was ist von solchen Empfehlungen zu halten? Kleine Privatanleger bekommen die umfassenden Studien der Analysten in der Regel gar nicht zu sehen. Banken und Brokerhäuser, die sich die hoch qualifizierten Spezialistenteams leisten, stellen deren Erkenntnisse nur den Grosskunden zur Verfügung, seien dies nun Pensionskassen oder grosse Fondsverwalter. Doch auch Journalisten fragen gern das fundierte Wissen der Analysten ab. Als Zeugen für eine These finden dann deren Meinungen den Weg in die Zeitungen.
Positiver Drall
Das grundsätzliche Ziel der Analysten darf man dabei aber nicht aus den Augen verlieren. Indirekt und zum Teil auch direkt leben Analystenteams davon, dass grosse Anleger aufgrund ihrer Empfehlungen handeln. Die durch den Aktienhandel generierten Kommissionen rechtfertigen das Dasein der Analysten. Und noch ein zweiter Punkt ist bei Analystenurteilen und ihren abgegebenen Kurszielen zu beachten:
Analysten, als Gruppe betrachtet, haben eine Neigung, zu positive Einschätzungen abzugeben. Die Gründe dafür beschäftigen weltweit die Finanzwissenschafter. Statistisch wurde der Drall inzwischen mehrfach belegt. Nach diversen Skandalen, in welchen Analysten wider besseres Wissen Aktien zum Kauf empfohlen hatten, sind in den USA vor wenigen Jahren strengere Regeln in Kraft getreten. Doch bis heute gibt es auch in der Schweiz Abhängigkeiten, die dafür sorgen, dass Analysten sich gut überlegen, ob sie eine Aktie herabstufen.
Für Analysten, die auf der sogenannten Verkaufsseite im Aktienhandel tätig sind, ist der regelmässige Zugang zum Management der beurteilten Firmen zentral. Nur so haben sie eine Chance, neue Entwicklungen rechtzeitig in ihrer Bedeutung einzuordnen. Die Banken und Brokerhäuser organisieren mit den Unternehmen sogenannte Roadshows, bei welchen die grossen Bankkunden direkt mit dem Management der Firma zusammengebracht werden. Überzeugt eine Firma bei der Präsentation, kommen für die Handelsabteilung der Bank die grossen Kauforders zustande.
Abhängigkeiten
Analysten sind deshalb sehr auf den Goodwill der Unternehmen angewiesen, die sie abdecken. Und die Firmen wissen um diese Abhängigkeit, nutzen sie laut Analysten auch, um allzu kritische Meinungsträger zu disziplinieren. Von der Weigerung, Kunden eines Analysten zu treffen, zur Androhung, Brokergeschäft zu verlagern, bis hin zum Ignorieren von Anfragen kritischer Analysten bei den Telefonkonferenzen reicht offenbar die Palette. Mit Namen lässt sich kein Analyst zu diesem Thema zitieren.
Bei den Schweizer Pharmawerten gilt Roche als heikler Kandidat. Verschiedene Analysten erzählen Episoden, die sie als Benachteiligung empfanden. Bei Roche wehrt man sich gegen die Vorwürfe und erklärt: «Roche erhält seit Jahren beste Noten für die Investor-Relations-Arbeit in unabhängig und industrieweit durchgeführten Umfragen.» Roche könne jährlich 15 Roadshows vergeben, sagt ein Sprecher. «Gleichzeitig decken uns aber über 50 Broker und Analysten ab. Bei der Vergabe der Roadshows zählt nur die Qualität. Wir machen diese Präsentationen auch mit Firmen, die uns auf
So oder so, auffallend ist, mit welcher Engelsgeduld viele Analysten die Stagnation von Novartis und die Talfahrt von Roche begleiten. Ihre Berichte bleiben trotzdem wertvolle Entscheidungshilfen. In vielen Analysen stecken geballte Ladungen an Fachwissen. Nur bei den Schlussfolgerungen sollten die Investoren dann eben doch selber denken.
Quelle: http://www.nzz.ch